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Ãœber den Mut, Neues zu wagen

Ich sitze auf meinem Balkon, trinke eine Tasse Kaffee und sehe den Bauarbeiter gegenüber zu, wie sie ein neues Dach auf das Nachbarshaus bauen. Zum ersten Mal seit Wochen habe ich dafür Zeit.

Meine Stelle als Berufsbeiständin habe ich vor Wochen verlassen und abgesehen von kleineren Tätigkeiten widme ich mich vorwiegend dem Yoga und den da anstehenden Projekten. Die Sicherheit, welche eine gesicherte Arbeitsstelle bietet, finanziell und strukturell, ist weg. Viel Geld habe ich nicht. Zugegeben, für den Notfälle könnte ich eine Louis Vuitton Tasche verscherbeln.

Ich habe mich bewusst entschieden, meine Stelle zu kündigen und einfach zu sehen, was Neues auf mich zukommt. Ich wollte Raum schaffen, um meinen Wünschen und Träumen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und darauf zu vertrauen, dass das Richtige schon kommt, sobald es genug Platz dafür hat. Einige Personen aus meinem Umfeld konnten diesen Schritt, gerade in der Zeit von Corona, nicht nachvollziehen. Besonders meine Grossmutter sieht mich wahrscheinlich schon bald mit verlumpten Kleidern an der Türe des Sozialamtes anklopfen. Mit Raum für Projekte und Kreativität kann sie nicht viel anfangen. Verständlich, sie hatte diese Möglichkeiten nie.

Ich aber habe die Möglichkeit und Freiheit, aus meinem Leben alles zu machen, was ich will. Naja fast. Die Reise zum Mond muss ich mir wohl abschminken, aber trotzdem gehöre ich weltweit wohl zu den wahrscheinlich weniger als 1% aller Frauen, die unendliche viele Möglichkeiten haben.

Ich gebe aber zu, es braucht Mut. Mut, darauf zu vertrauen, dass es sich lohnt, ein Risiko einzugehen, um das machen zu können, was mich wirklich glücklich macht.

Genauso braucht es Mut, mich von Sicherheiten oder vermeidlicher Sicherheiten, zu lösen. Ob diese aus einer Arbeitsstelle bestehen, materieller Sicherheit oder in Beziehungen zu anderen Menschen, spielt keine Rolle.

In den vergangenen Jahren habe ich viel losgelassen. Freundschaften, Beziehungen, Materielles und Ãœberzeugungen. Einiges ist mir leichtgefallen, anderes war schmerzhaft und schwierig.

Jedoch kann ich sagen, dass jedes Loslassen irgendwann mehr Raum bot. Mehr Raum für neue Freundschaften, Ansichten und Erkenntnisse, mehr Raum für die Beziehung zu mir selbst und mehr Zeit für das, was mich wirklich glücklich macht.

Ich will Vergangenes nicht schlecht reden, im Gegenteil. Ich glaube fest, dass jede Beziehung oder Freundschaft, welche ich führte und jede Tätigkeit, welcher ich nachging, eine Art Spiegel meines damaligen Selbst war. Einiges war förderlich und bereichernd, vieles wunderbar und bedeutungsvoll, manches wild und destruktiv.

Fällt also der Fokus auf ein Gegenüber oder eine Aufgabe weg, bleibe nur ich selbst zurück.

Ich mit all meinen alten Mustern, meinem Talent mit dem Kopf eine Wand einzurennen und grandiose Kuchen zu backen, meiner Art den Menschen um mich rum manchmal kopflos Dinge an den Kopf zu werfen, meiner Hingabe zur Sturheit, meiner strukturierten Kopflosigkeit, meiner Liebe zum wilden Chaos und gleichzeitig der Suche nach Ruhe.

Trotzdem sitze ich ruhig da und trinke meinen mittlerweile kalten Kaffee. Ich merke, dass alles gut war, so wie es war. Bestimmt ist es nicht immer ganz einfach, aber wenn ich mein Leben jetzt betrachte, sehe ich viel Freude, wunderbare Menschen um mich, einen gesunder Körper mit teils lustigen Motiven darauf, eine Familie, die mich regelmässig in den Wahnsinn treibt und die ich gleichzeitig so unglaublich liebe, eine Wohnung von etwa zehn Quadratmetern, wunderbar, mitten in Zürich, für mich ganz allein, eine Liebe, die mein Herz hüpfen und gleichzeitig zur Ruhe kommen lässt, vor allem die Gewissheit, dass alles irgendwie, irgendwann und auf manchmal so unerwartete Weise, gut wird.

Mit etwas Mut und vielleicht einer Louis-Vuitton-Tasche weniger.


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